Dienstag, 15. November 2011

..in den paar Tagen...

Jedenfalls haben sich in den paar Tagen, die ich auf der Insel verbrachte und während derer ich mehrere Stunden im Fenster des Rousseauzimmers gesessen bin, nur zwei der Ausflügler, die zum Spazierengehen und Brotzeitmachen auf die Insel herüberkommen, in die spärlich bloß mit einem Kanapee, einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl möblierte Kammer verirrt, und auch diese beiden sind, offenbar enttäuscht von dem wenigen, das es da zu sehen gab, gleich wieder gegangen. Keiner von ihnen hat sich über die Glasvitrine gebeugt, um die Schriftzüge Rousseaus zu entziffern, keiner hat bemerkt, daß die bleichen, bis zu zwei Fuß breiten Fichtenbretter des Bodens gegen Mitte des Zimmers so abgetreten sind, daß sie eine flache Kuhle bilden, und daß die Stellen um die harten Äste herum beinahe einen Zoll herausstehen aus dem übrigen Holz. Keiner ließ seine Hand über den glatt geschliffenen Spülstein im Vorraum gleiten, nahm den rußigen Geruch wahr, der immer noch um die Feuerstelle hängt, und keiner warf einen Blick aus dem Fenster, von dem aus man über den Obstgarten und eine Wiese am Südufer hinuntersieht. Mir aber war es in dem Rousseauzimmer, als sei ich zurückversetzt in die vergangene Zeit, eine Illusion, auf die ich umso leichter mich einlassen konnte, als auf der Insel dieselbe, von keinem Motorengeräusch gestörte Stille herrschte wie überall auf der Welt vor hundert oder zweihundert Jahren. Besonders wenn dei Tagesausflügler wieder heimgekehrt waren, tauchte die Insel ein in Ruhe, wie es sie sonst im Umkreis unserer Zivilisation sonst nirgends mehr gibt, und in der nichts mehr sich rührte außer vielleicht die Blätter der mächtigen Pappeln in den Brisen, die manchmal entlangstrichen am See.

Aus Logis in einem Landhaus von W.G. Sebald

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